Das verschlossene Zimmer

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Burg Falkenstein in Sachsen-Anhalt

 

Im Jahre 1969 erhielt ich von meinem Vater ein Buch mit dem Titel The Confessions of a Ghost-Hunter von Harry Price, dem bedeutenden und umstrittenen Parapsychologen. Dort sind viele seiner interessantesten Nachforschungen auf dem Gebiet des Paranormalen beschrieben, auch Spukphänomene, von denen mich eines ganz besonders faszinierte. Es betraf eine Burg im östlichen Teil des Harz, die er 1935 besucht hatte, gerade als Hitler Deutschland für den Krieg aufrüstete. Der Harz ist schon lange mit dem Übernatürlichen in jeder Form in Verbindung gebracht worden, und hier, auf der Spitze des Brocken, treffen sich die Hexen jeden 30. April zur Walpurgisnacht, wie es Goethe im ersten Teil des Faust so lebhaft beschrieben hat. Burg Falkenstein geht auf das zwölfte Jahrhundert zurück. Price beschrieb sie als "eines der schönsten Exemplare einer mittelalterlichen Residenz, das ich je gesehen habe".

Vor den Augen der Außenwelt versteckt, thront sie mitten im Wald hoch oben auf einem Felsen. In der Burg wurde Price eine kleine Tür gezeigt, die mit einem massiven eisernen Schloß versehen war. Sie warjahrhundertelang nicht geöffnet worden, und keiner wußte, was der dahinterliegende Raum enthielt. Doch sollte sie je geöffnet werden, drohte den Burgbesitzern großes Unheil. Am meisten interessierte Price jedoch das "Spukbett", ein ausladendes hölzernes Gestell mit kunstvoll geschnitzten Figuren, das, von alten Wandbehängen umgeben, in einem großen Raum stand. In diesem Schlafzimmer und im Bett selbst sollte die Weiße Frau von Falkenstein umgehen, angeblich eine Ahnin des heutigen Besitzers der Burg, Graf von Asseburg. Price bemühte sich vergebens, von dem alten Mann die Erlaubnis zu erhalten, die Nacht in dem Bett zu verbringen, denn der Graf wollte weder den Raum noch den Geist gestört wissen. Nicht lange nach Price' Besuch brach der Zweite Weltkrieg aus, und bis vor kurzem war die Burg von der westlichen Welt abgeschnitten gewesen. Ich hoffte, nun endlich das Geheimnis des verschlossenen Zimmers zu lüften. Bei meiner Ankunft in den Bergen versuchte ich, dem selben Weg durch den Wald zu folgen, den Price gegangen war. Als die Burg schließlich in Sicht kam, entsprach sie fast genau der Vorstellung, die ich mir nach Price'Beschreibung von ihr gemacht hatte, und bald stieg ich die steinernen Stufen zu einer alten Holztüre hinauf, wo mich eine Kustodin in Empfang nahm. Im Innern gewann man den Eindruck, als hätte sich jahrhundertelang nichts verändert, obwohl sich hier nun ein staatliches Museum befindet. Es ist angefüllt mit antiken Möbeln, merkwürdigen Kunsterzeugnissen und Jagdtrophäen. Während wir den gewundenen Gängen durch die Türme folgten, erfuhr ich die Geschichte der Burg.

Sie war im zwölften Jahrhundert von Burchard von Konrads burg erbaut worden, der ursprünglich auf einer Burg im nahen Ermsleben gewohnt hatte. Er soll den Grafen Adalbert Ballenstedt getötet, manche behaupten, ermordet und aus Buße seine Burg bei Ermsleben in ein Kloster umgewandelt und seinen Familiennamen in Valkenstein geändert haben. Im zwölften und dreizehnten Jahrhundert erlangte die Familie Valkenstein große Macht in der Region. Später änderten sie aus nicht bekannten Gründen ihren Namen ein weiteres Mal und nannten sich Falkenstein. Im Jahre 1334 starb die Familie aus. Das letzte Familienmitglied, ein sehr religiöser Mann, der keine Nachfahren hatte, vermachte die Burg der Abtei von Halberstadt. Ein Jahrhundert darauf wurde sie an die Familie Asseburg verkauft, in deren Besitz die Burg bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verblieb. Wir hatten nun den Raum betreten, der das Spukbett beherbergte, das Harry Price so beindruckt hatte. Es ist wesentlich größer, als ich erwartet hatte, ein einzigartiges, atemberaubendes Kunstwerk. Als ich meine Führerin nach dem Geist der Weißen Frau von Falkenstein fragte, wollte sie nichts weiter dazu sagen, als daß die Burg die Nacht über meist leer stand, so daß ihre Existenz nicht nachgewiesen werden könne. Schließlich stiegen wir mehrere gewundene steinerne Treppen hinab zur Privatkapelle, in der Martin Luther gepredigt haben soll. Seitlich von ihr befindet sich der Geheime Raum, den Price bei seinem Besuch nicht betreten konnte. Heute steht die Tür offen, doch vieles von dem Geheimnis, warum sie so lange verschlossen gehalten wurde, bleibt bestehen. Ursprünglich war dieser Raum eine Sakristei und galt als der sicherste Ort der Burg, da es nur eine Tür und keine Fenster gab. Der Zutritt war dem Priester und den Burgherren vorbehalten, und da es ein derart sicherer Ort war, wurden die Besitzurkunden der Burg dort verwahrt. Dem gegenwärtigen Grafen von Asseburg zufolge hatte jeder in der Gegend gewußt, daß etwas oder jemand hinter einer Wand dieses Zimmers eingemauert war, doch die volle Wahrheit war und bleibt ein Rätsel. Der Graf bestätigte, daß die Urkunden und weitere wichtige Dokumente bis zum Jahre 1604 in dem Raum aufbewahrt worden waren, doch dann war etwas geschehen, das den Fluch nach sich zog, demzufolge das Zimmer nie wieder von einer Menschenseele betreten werden sollte, damit nicht ein großes und schreckliches Unglück die Familie Asseburg befalle. Unter den Einheimischen geht die Sage, daß im Jahre 1839 die Tür geöffnet und das Zimmer durchsucht wurde. Arbeiter sollen in einem Hohlraum das in Fetzen gehüllte Skelett einer Frau entdeckt haben. Ihre sterblichen Überreste wurden später auf dem Friedhof im nahen Pansfelde beigesetzt.

Es existieren viele Theorien bezüglich der Identität der Toten. Entweder war sie geopfert worden, um böse Geister von der Burg abzuwehren - einem aus der Zeit der Kelten stammenden Brauch entsprechend oder es handelte sich um eine Heilige, die ihr Leben zur Verfügung gestellt hatte, um die Schuld eines anderen, wahrscheinlich eines Adligen, zu sühnen. Dies war im Mittelalter ein häufiger Vorgang. Das unglückliche Opfer verhungerte unter seinen Gebeten für die Seele des Schuldigen. Als Gegenleistung wurden die Hinterbliebenen ausbezahlt. Wieder andere behaupten, sie sei eine Nonne gewesen, die als Strafe für sexuelle Vergehen bei lebendigem Leibe eingemauert, oder das Opfer eines Mordes, das dort versteckt wurde. Man sagt auch, der Graf hätte Befehl gegeben, den Raum wieder zu versiegeln, nachdem das Skelett gefunden worden war. Eine andere Geschichte besagt, daß im Jahre 1910 nahe der Kanzel irrtümlich ein Loch in die Mauer des Raumes geschlagen wurde und die Großmutter des heutigen Grafen, eine äußerst wißbegierige junge Frau, eines Nachts ihre Hand hindurchgesteckt und etwas berührt hatte, was sie für ein Skelett hielt. Wie sich später herausstellte, war es das Bein eines geschnitzten Stuhles. Dann, im April 1945, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, besetzte die amerikanische Armee die Burg. Der heutige Graf bemühte sich vergeblich, die Truppen daran zu hindern, die Tür aufzubrechen. Am darauffolgenden Tag traf eine Nachricht aus dem nahen Ballenstedt ein, wo seine Großmutter lebte, die besagte, sie sei zu eben dem Zeitpunkt verstorben, als die betrunkenen Soldaten die Tür aufgebrochen und den Raum betreten hatten - dem 23. April 1945. Einige Wochen später mußte die Familie Burg und Vaterland verlassen. Vor der Flucht faßten sich der Graf, seine Frau und sein Bruder ein Herz und beschlossen, da sie nichts mehr zu verlieren hatten, den Raum zu betreten. Sie fanden darin einen geschnitzten hölzernen Stuhl (war es derselbe, den seine Großmutter berührt hatte?), ein Loch im Boden, neben dem ein Haufen Erde aufgeschüttet war, eine Werkbank und schließlich einen grausigen Fleischerhaken, der an einer Kette von der Decke hing.

 

Quelle: Geistersuche von Simon Marsden

Auf den Spuren des Unheimlichen von Irland nach Transsilvanien

 



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